Der Bund blendet nach Ansicht des Fuldaer Oberbürgermeisters in der Flüchtlingspolitik Realitäten einfach aus. Nicht nur bei der Unterbringung sieht er in den Kommunen die...
Fulda (dpa/lhe) - . Viele Kommunen sehen sich bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Im Main-Kinzig-Kreis sowie in der Stadt und im Kreis Fulda beispielsweise wurden im vergangenen Jahr mehr Menschen aufgenommen als während der Flüchtlingskrise 2015/16. Angesichts dieser Lage fordert der Präsident des Hessischen Städtetags, der Fuldaer Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU), vor dem Flüchtlingsgipfel vom Bund eine dringende Kurskorrektur. Für Mittwoch ist ein Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt geplant, bei dem es vor allem um die Finanzierung der Flüchtlingskosten gehen soll.
„Wir versuchen in den Kommunen über Parteigrenzen hinweg, das Bestmögliche für die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge zu leisten“, sagte Wingenfeld der Deutschen Presse-Agentur. „Aber es frustriert, wenn auf der Bundesebene die Realitäten nicht wahrgenommen, sondern ausgeblendet werden. Man darf die Probleme nicht schönreden, sondern muss die wirkliche Situation anerkennen und die richtigen Strategien entwickeln.“
Eines der drängendsten Probleme sieht der Städtetagspräsident bei der Unterbringung der Geflüchteten. „Wir sind nicht nur in der Stadt Fulda, sondern hessen- und deutschlandweit absolut an der Kapazitätsgrenze, um die Menschen wenigstens halbwegs menschenwürdig unterzubringen“, warnte der Kommunalpolitiker.
Auch bei den sogenannten Integrationskursen seien die Kapazitäten ausgeschöpft, dabei reiche die Zahl der angebotenen Plätze schon jetzt nicht aus. „Da ist es ein Skandal, dass der Bund die Mittel dafür sogar noch zusammenstreicht“, kritisierte Wingenfeld. Die Kommunen bräuchten mehr Geld, mehr Flexibilität und einen Abbau bürokratischer Hürden, was beispielsweise die formellen Anforderungen an Kursleiter und Räumlichkeiten betreffe. Zugespitzt hat sich nach seiner Ansicht auch die Situation in den Kindergärten und Schulen.
Nicht zuletzt gehe es auch um Wohnraum, denn es sei zu erwarten, „dass viele Menschen, die zu uns gekommen sind, auch bleiben werden“, sagte er. Doch entstünden derzeit wegen der Zinsentwicklung und gestiegenen Baukosten kaum neue Wohnungen. Kurzfristig könne nur durch eine erhöhte Bundesförderung im sozialen Mietwohnungsbau Abhilfe geschaffen werden. „Da sehe ich bislang nichts und hoffe auch in dieser Hinsicht auf den Flüchtlingsgipfel“, sagte er.
Enttäuscht ist der Fuldaer OB auch von der Wirklichkeit bei der angekündigten Unterstützung des Bundes durch die Überlassung von bundeseigenen Immobilien für die Flüchtlingsunterbringung. Da tue sich so gut wie nichts. „Man läuft von Pontius zu Pilatus, ohne irgendwie das Gefühl zu haben, ernst genommen zu werden“, kritisierte er. „Ich habe den Eindruck, dass der Bund viele dieser Realitäten überhaupt nicht wahrnimmt und wir in unterschiedlichen Welten leben. Die Bundesregierung kann sich nicht auf den Standpunkt stellen: Wir haben kein Problem.“
Nach Ansicht des Kommunalpolitikers braucht Deutschland mehr Einwanderung. Er setze sich daher für eine Willkommenskultur für die Menschen ein, die Deutschland für seinen Arbeitsmarkt brauche. Die Zuwanderung müsse anders gesteuert werden, als das jetzt der Fall sei. „Im Moment haben wir de facto eine Einwanderung in die Sozialsysteme“, sagte Wingenfeld. Er sprach sich für eine Kürzung der Sozialleistungen für Geflüchtete aus. Innerhalb Europas gebe es da ein großes Gefälle. „Zum Beispiel könnte es in Deutschland auch mehr Sach- anstelle von Geldleistungen geben“, schlug er vor.
Die Bundesregierung müsse innerhalb der EU dafür eintreten, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. „Wir können die Flüchtlinge nur erfolgreich integrieren, wenn unsere Sozialsysteme, wenn unsere Strukturen funktionieren und aufnahmefähig sind. Und da muss man ehrlicherweise sagen, klaffen seit geraumer Zeit Anspruch und Wirklichkeit auseinander“, sagte Wingenfeld.
Wingenfeld ist nicht der einzige Kommunalpolitiker in Hessen, der Alarm schlägt. Mit seiner „Main-Kinzig-Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“ hatte vor kurzem der bevölkerungsreichste Landkreis in Hessen für Aufsehen gesorgt. Der Main-Kinzig-Kreis und 27 zugehörige Städte und Gemeinden sprachen sich unter anderem dafür aus, Geflüchteten ohne Bleibeperspektive schneller in ihre Heimatländer zurückzubringen. In die Bundesländer und vor allem in die Kreise und Kommunen sollten nur Geflüchtete weiterverteilt werden, für die eine Bleibeperspektive festgestellt worden sei. Außerdem forderten sie mehr finanzielle Unterstützung.
Der größte Landkreis will zudem mit einer Normenkontrollklage gegen das Land Hessen und die seiner Ansicht nach ungerechte Verteilung von Geflüchteten vorgehen. Im Vergleich zu den Nachbarn Frankfurt und Offenbach sieht er sich unverhältnismäßig stark strapaziert. Die Klage soll an diesem Montag eingereicht werden. Ein Gespräch der Kreisspitze mit Vertretern der Landesregierung am vergangenen Dienstag in Wiesbaden verlief nach Angaben der Kreisverwaltung ergebnislos.
Das Wiesbadener Integrationsministerium hat die Kritik zurückgewiesen. Für die abweichenden Aufnahmequoten der Städte Frankfurt oder Offenbach und des Main-Kinzig-Kreises sei die Berücksichtigung des Ausländeranteils an der Wohnbevölkerung ausschlaggebend, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Vor allem seit dem Zuzug ukrainischer Geflüchteter insbesondere in die größeren Städte gebe es in Frankfurt und Offenbach eine „Überquote“, da sie in der Vergangenheit bereits mehr Menschen aufgenommen hätten, als sie es nach ihrer errechneten Quote hätten tun müssen, hieß es.