Ihre Beiträge erreichen Millionen. Sie nehmen Einfluss auf die Meinung und das Konsumverhalten ihrer Follower. Aber sind Influencer sich ihrer Verantwortung bewusst?
REGION. Der Aufstieg der sozialen Medien – von Instagram, TikTok & Co. – in den vergangenen zehn Jahren hat eine Generation neuer Akteure hervorgebracht. Sogenannte Influencer oder Content Creator, die mit ihren Foto- und Videobeiträgen auf sozialen Medien bekannt geworden sind. Mit ihren Profilen erreicht jeder Einzelne von ihnen täglich zwischen Tausenden und mehreren Millionen Menschen auf der ganzen Welt und nimmt damit entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftliche Meinung.
Das liegt nicht zuletzt an den persönlichen Inhalten, die die Follower mit in den ganz normalen Alltag ihrer Online-Idole nehmen. Content Creator My (@mybabui) für Food und Lifestyle ist sich bewusst, dass die Einblicke in ihren Alltag gerade bei jüngeren Followern ein Gefühl von Vertrautheit auslösen. Neben Fotos und Fragen zu ihren Kochvideos, die sie seit 2021 auf ihrem Kanal teilt, erhält sie auch private Nachrichten zu Themen wie Selbstbewusstsein und Unsicherheiten - mit der Bitte, einen Ratschlag zurück zu schicken. "Ich nehme mir Zeit für meine Follower. Aber ich sage auch, dass sie sich in schwierigen Situationen an professionelle Hilfen wenden sollen", sagt My. Mys Community ist unter anderem durch ihren Auftritt in der Kika-Serie Mädchen-WG gewachsen, an der sie im zarten Alter von 12 Jahren teilgenommen hat.
Wie ein guter Freund, nur eben auf Distanz
Johannes Beckert vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erklärt: "Viele User empfinden Influencer wie einen guten Freund, dem man sich sehr nahe fühlt - nur eben auf Distanz." Den Influencern wird dank der scheinbaren Nahbarkeit und Authentizität ihres Contents eine hohe Glaubwürdigkeit zugeschrieben. Insbesondere junge Menschen, Kinder und Jugendliche, die noch auf Identitätssuche sind, lassen sich von den jungen Meinungsmachern gerne inspirieren und auch zu dem einen oder anderen Kauf motivieren.
Tatsächlich gleichen viele Influencer-Profile mittlerweile einer Dauerwerbesendung und obwohl Content Creator dazu verpflichtet sind, Werbung als solche zu markieren, sind sich Kinder und Jugendliche oftmals nicht den Mechanismen bewusst, die sie zu einem Kauf bewegen. Transparent zu bleiben und klar und deutlich zu kommunizieren, wann es sich bei ihren Beiträgen um eine Kooperation handelt - das ist für Content Creator Ronja das Wichtigste. "Ich bin keine Verkäuferin", sagt sie. "Ich will meinen Followern nicht suggerieren: 'Wenn du das nicht hast oder kaufst, bist du kein richtiger Fan!'" Sie habe ihren Account "just_a_slytherpuff" 2019 nicht ins Leben gerufen, um Influencer zu werden, sondern um zwei ihrer Hobbys miteinander zu verbinden: Harry Potter und das Fotografieren.
Jannik Diefenbach (@jaadiee) hat Ende 2016/Anfang 2017 damit angefangen, Fotos (mittlerweile Videos) von seinem Opa in Streetwear auf seinen Instagram-Kanal hochzuladen. Sechs Jahre später ist das Ganze für ihn zum Vollzeitjob geworden. Großvater und Enkel haben die Millionen-Grenze geknackt und internationale Bekanntheit erreicht, die sie auf Sneaker-Messen und Events rund um den Globus führt. "Wir haben ein gemeinsames Hobby, von dem man leben kann", sagt Jannik. Und: "Wir haben beide eine schöne Zeit und das kommt glaube ich auch auf den Bildern rüber. Dass es wirklich entspannt ist."
Hinter all dem steckt auch eine Botschaft: „Wir wollen zum einen jungen Leuten zeigen, dass Altwerden etwas Schönes ist. Und gerade deshalb sollte man das Ganze genießen, noch mal etwas Neues erleben, sich nicht durch gesellschaftliche Normen einschränken lassen. Gleichzeitig wollen wir der älteren Generation zeigen: Schaut mal, es ist nie zu spät, etwas Neues anzufangen, sich neu zu entdecken, etwas auszuprobieren – was auch immer das ist.“
Doch trotz Erfolg, bleibt der Mainzer Content Creator realistisch. „Online ist nichts garantiert.“ Hypes und Trends seien oft auch schnell wieder weg, erzählt er im Interview. Man sollte sich deshalb nicht auf dem Erfolg ausruhen, Jannik selbst arbeitet an einer Bekleidungsmarke namens „Gramps“. Doch wieso eigentlich Content Creator, nicht Influencer? Mit dem Begriff Influencer seien negative Stereotype verbunden, die dem Begriff Content Creator bislang noch nicht innewohnten, erklärt er. Andere negative Aspekte der Online-Tätigkeit, wie zum Beispiel Hate Kommentare hielten sich auf ihrem Profil zum Glück in Grenzen.
Was sonst noch wichtig ist? „Transparenz und Ehrlichkeit“, sagt Jannik. Manchmal erhalte er Nachrichten von Menschen, die ihn fragten, ob ein Paar Schuhe gefälscht oder echt seien. Da sage er direkt, dass er dazu nichts sagen könne. Und Politisches geht auf seinem Profil gar nichts.
Verlust von Glaubwürdigkeit und Transparenz
Dass nicht jeder Influencer überlegt handelt, zeigt das jüngste Beispiel, der Maskenskandal rund um den deutschen Influencer, YouTuber und Musiker Fynn Kliemann. "Sobald auffällt, dass das authentische Bild, was man nach außen zeichnet, doch nicht so stimmig ist, ist die Fallhöhe sehr hoch", sagt Beckert. Influencer, die ihre Glaubwürdigkeit und Transparenz verlieren, bezahlen - meist in Form von Follower- und Reichweiten-Verlust. Dann ist es fast unmöglich, erneut Fuß in der Branche zu fassen.
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Doch der Beruf des Influencers übt bei den Akteuren auch einen enormen Druck aus. Das wird häufig außer Acht gelassen. Nicht nur durch den Algorithmus, der vor allem Nano- und Mikro-Influencer mit bis zu 40.000 Followern dazu zwingt, regelmäßig Content zu produzieren, um nicht irgendwann "superniedrig gerankt" zu werden. Für Ronja, die bei ihren Fotos vor allem wert auf die Qualität der Fotos legt, wie authentisch und ästhetisch sie zum Harry Potter Universum passen, ein Problem. Durch den Alghoritmus sei das Hobby, das sie neben ihrer Tätigkeit als Freiberuflerin ausübt, dadurch nämlich auch mit Stress verbunden. "Damit das ganze funktioniert, muss eine gewisse Regelmäßigkeit gegeben sein." Sonst könnte es passieren, dass der Content irgendwann ausgeht und sie in kurzer Zeit so viel Neues erstellen müsste, dass die Qualität darunter leiden würde.
Jannik hingegen fühlt sich in seiner Arbeit eher selten unter Druck gesetzt. Nur dann, wenn es sich um Kooperationen handelt, weil man diese Beiträge natürlich gut performen sehen wolle. Doch abgesehen davon habe er zum Beispiel noch nie viel gepostet – nur etwa ein- bis dreimal pro Woche.
Täglich sind Influencer außerdem ihrer Community ausgesetzt, die nichts vergisst und wenig verzeiht. Hasskommentare, Shirtstorms und Cyber Mobbing sind hier an der Tagesordnung. Andere Influencer berichten von Stalkern, die ihren Wohnort öffentlich machen oder ihnen auf der Straße folgen. My dazu: "Ich hatte einmal einen Fall, da war ich in der Stadt unterwegs und jemand hat Bilder von mir gemacht und sie mir dann per Instagram geschickt. Da habe ich mich schon sehr unwohl gefühlt, weil ich die Situation nicht so richtig einschätzen konnte, warum die Person nicht einfach auf mich zugekommen ist. Die war aber auch erst zwölf oder 13."
Die Trennung von Bianca und Julian Claßen verdeutlicht eine weitere negative Seite der Online-Präsenz. Menschen, die scheinbar jede Einzelheit ihres Lebens auf ihren Instagram-Profilen öffentlich machen und damit suggerieren, die Community hätte ein Recht auf diesen Einblick, machen nun die Erfahrung, dass ihre Follower ihnen keinerlei Privatsphäre mehr gönnen und ein Statement zur Trennung verlangen.
Natürlich könne man sich fragen, warum Influencer zum Teil gefühlt jeden Aspekt ihres Privatlebens teilen und dann im Falle eines Skandals oder einer Trennung, wie in den Fällen Kliemann und Bibi, ein großes Geheimnis aus den Umständen machen, sagt Jannik dazu. Aber: „Eigentlich sollte man aus Follower-Sicht nie erwarten, dass man ein Recht darauf hat, etwas Privates oder Intimes zu erfahren. Es geht eigentlich niemanden etwas an.“ Außerdem, so gibt er zu bedenken, könne man sich nie sicher sein, ob die Einblicke in den Alltag einer Person auch wirklich wahrheitsgemäß und authentisch seien. Viele Influencer zeigten nämlich nicht ihren tatsächlichen Alltag, sondern planten ihr Leben danach, was auf Instagram „cool“ aussieht.
Unter dem Hashtag #zweitleben und in den Highlights (auf dem Instagram-Kanal dieser Zeitung) findet ihr Beiträge zum Thema Influencer und ihrer Verantwortung: (@allgemeinezeitung, @wiesbadenerkurier, @echoonline_suedhessen, @mittelhessen.de). Dort gibt es Hintergründe, Videos und Interviewbeiträge mit den Content Creatorn Ronja (@just_a_slytherpuff), My (@mybabui) und Jannik (@jaadiee).