Prozess um Tankstellenmord nach Beginn vertagt

Der Angeklagte im Tankstellenmordprozess vor dem Landgericht Bad Kreuznach. (Foto: Sascha Kopp) Foto: Sascha Kopp

Nach dem tödlichen Schuss auf einen Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein ist der Prozess vertagt worden. Grund sind neue Ermittlungen zu Chats in der „Querdenker“-Szene.

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BAD KREUZNACH. Der Prozess um den tödlichen Schuss auf einen Tankstellen-Mitarbeiter in Idar-Oberstein ist am Montagmorgen in Bad Kreuznach kurz nach Beginn vertagt worden. Laut Anklage soll der 50-jährige Mario N. den 20-jährigen Alexander W. Mitte September 2021 getötet haben, nachdem dieser ihn mehrfach auf die coronabedingte Maskenpflicht hingewiesen hatte. Wenn er vom Landgericht wegen Mordes verurteilt wird, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe. Grund für die Vertagung sind neue Ermittlungen zu Chats in der „Querdenker“-Szene. Dazu hat die Generalstaatsanwaltschaft ein neues Verfahren eingeleitet. Die Verteidiger monierten unter anderem unklare Formulierungen in den Akten. Wann der Prozess weitergeht, entscheidet sich am Donnerstag. Als nächster Sitzungstermin sind der Freitag, 25. März oder der Donnerstag, 31. März im Gespräch. Der Angeklagte will sich erst in der nächsten Sitzung zu den Vorwürfen einlassen.

Nach Vertagung des Prozesses bewerten unsere Reporter hier den Tag im Gericht.

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Am Morgen war der Prozess in Bad Kreuznach unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen gestartet, auch das bundesweite Medieninteresse ist groß. Erwartet worden war ein Geständnis des Angeklagten. Der Verteidiger hatte zum Prozessauftakt angekündigt, dass er eine Stellungnahme für seinen Mandanten abgeben werde. Den Ansturm der zahlreichen Fotografen und Kamerateams zum Prozessauftakt ließ der 50-Jährige mit verschränkten Armen, gebeugtem Kopf und geschlossenen Augen über sich ergehen. Er trug - wie alle im Gerichtssaal - eine Corona-Schutzmaske.

Nach den Ermittlungen hatte der Angeklagte am 18. September 2021 an der Tankstelle ohne Maske Bier kaufen wollen. Er kam zweimal. Beim ersten Mal ist er nach einer Diskussion mit dem Studenten, der als Aushilfe an der Tankstelle jobbte, wieder gegangen. Als er zurückkam, trug er zunächst eine Mund-Nasen-Bedeckung, die er dann aber an der Kasse herunterzog. Nach einem Wortwechsel mit dem 20-Jährigen zog der heute 50-Jährige einen Revolver aus der Hosentasche und tötete den jungen Mann mit einem Kopfschuss. Der 20-Jährige war sofort tot. Die Trauer um den Getöteten hatte wochenlang das Leben in Idar-Oberstein (Landkreis Birkenfeld) geprägt.

Chats des Angeklagten werden geprüft

Laut Staatsanwaltschaft handelte der Täter „heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen“. Der zuvor nicht polizeibekannte Deutsche hat bereits bei der Vernehmung die Tat gestanden. Nach seiner Festnahme soll er gesagt haben, er habe sich seit langem durch die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie angeordneten Beschränkungen belastet gefühlt und beschlossen, „ein Zeichen zu setzen“, teilte die Anklagebehörde mit. Den 20-Jährigen soll er „als mitverantwortlich für die Gesamtsituation angesehen haben, weil dieser die Corona-Regelungen habe durchsetzen wollen“. Nach dem Todesschuss soll der Angeklagte die Maske wieder über Mund und Nase gezogen haben und die Tankstelle verlassen haben, hieß es. Der selbstständige Softwareentwickler aus Idar-Oberstein ist zudem wegen unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt. Der Täter hatte zwei Schusswaffen zuhause aufbewahrt, hieß es am Montag: eine Pistole, die er im Schlafzimmer gelagert hatte, und einen Revolver, der bei ihm im Wohnzimmertisch versteckt war.

Wie die Vorsitzende Richterin am Montag erklärt hat, hat die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz inzwischen ein zusätzliches Verfahren in Zusammenhang mit dem Mord eingeleitet. Bei diesem Verfahren werden demnach die Chats des Angeklagten geprüft, um zu schauen, in welchen Strukturen (Blasen) in sozialen Netzwerken er sich bewegt hat und ob er aus diesen Strukturen angestiftet wurde zur Tat. Nach der Ankündigung wurde der Prozess zunächst unterbrochen, um der Verteidigung die Gelegenheit zu geben, die erst kürzlich vorgelegten Akten der Generalstaatsanwaltschaft einzusehen. Die umfangreichen Unterlagen waren laut Staatsanwaltschaft erst am Donnerstag eingegangen. Die Verteidigung zeigte sich überrascht von der Entwicklung.

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Die Generalstaatsanwaltschaft führt demnach Ermittlungen generell in der „Querdenker“-Szene durch. Die Chats und das psychiatrische Gutachten von Mario N. seien Teil der Ermittlungsakte, weil sie sich „in das Gesamtkonstrukt einordnen“ ließen, so die Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft sollen sich nicht gegen den Angeklagten richten, betonte die Staatsanwältin. Die Verteidiger beantragten später eine Verlegung der Gerichtsverhandlung, bis der Sachverhalt final geklärt ist. Unter anderem monierten sie missverständliche Formulierungen in den Akten.

Die Ermittler hatten vor dem Prozess laut Staatsanwaltschaft rund 20 Zeugen vernommen, darunter seien auch Augenzeugen gewesen, die bei der Tat vor Ort in der Tankstelle waren. Zudem sei umfangreiches Material von den sichergestellten Datenträgern des Angeklagten ausgewertet worden. Dabei habe sich gezeigt, dass der Mann „der Mehrheitsgesellschaft und dem Staat ablehnend distanziert gegenüber“ gestanden habe. Zudem habe er sich mit Theorien der Corona-Leugner befasst, ohne aber in einer Gruppe oder Organisation aktiv gewesen zu sein. Er habe „relativ zurückgezogen“ gelebt.

Der Anwalt des Angeklagten hatte schon im Vorfeld angekündigt, dass sein Mandant im Prozess ein Geständnis ablegen und seine Reue ausdrücken werde. „Ob die Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe erfüllt sind, wird die Beweisaufnahme ergeben“, hatte der Verteidiger Alexander Klein der Deutschen Presse-Agentur gegenüber gesagt. „Dagegen werden wir uns verteidigen.“ Ursprünglich waren nach Angaben des Gerichts 13 Verhandlungstermine bis Mitte Mai angesetzt.

Hier sehen Sie eine erste Einschätzung vor Prozessbeginn: