
Der Klimawandel ist da. Die Wissenschaft hat ihn bewiesen – und wir bemerken die ersten Auswirkungen auch bei uns. Wieso lässt die Krise manche trotzdem so kalt?
Rhein-Main. Schon seit mehreren Jahrzehnten wissen wir von der menschengemachten Erderwärmung. Wir wissen, dass eine Klimaveränderung katastrophale Auswirkungen haben wird. Wir wissen, dass wir unser Verhalten ändern müssen, nachhaltiger leben und möglichst CO₂ einsparen müssen, damit die Erderwärmung für uns auf einem erträglichen Maß bleibt. Und während unsere Gesellschaft sich tatsächlich langsam wandelt, erneuerbare Energien ausgebaut werden und die Industrie versucht, sich umzustellen – so manche tun einfach gar nichts.
Und das sei vollkommen verständlich, erklärt Daniel Gilbert, Professor für Psychologie an der Universität Harvard. Er ist der Meinung, dass unser Gehirn Bedrohungen nach einem bestimmten Schema wahrnimmt: dem PAIN-Modell. Das steht für „Personal, Abrupt, Immoral, Now” – persönlich, plötzlich, unmoralisch, jetzt. Je mehr dieser Punkte angesprochen würden, desto eher reagieren wir auf etwas und versuchen, uns zu schützen. Das habe unser Gehirn im Verlauf der Entwicklung so gelernt: „Die letzten paar Millionen Jahre war die größte Gefahr für unser Wohlergehen ein anderer Mann mit einem großen Stock in der Hand”, meint Gilbert. Und der spreche alle genannten Punkte an. Der Klimawandel – nicht.
Wie furchteinflößend ist die Erderwärmung?
Denn weder richtet der Klimawandel sich gegen uns persönlich, noch kann dieses globale Phänomen irgendwie moralisch sein. Die Temperatur verändert sich auch nicht plötzlich, ebenso wenig steigt der Meeresspiegel abrupt an – bei wenigen Zentimetern pro Jahr ist die Veränderung einfach zu klein, als dass sie den meisten Menschen Angst machen würde. Und nur in aktuellen Krisensituationen, die lokal begrenzt sind, kann man von einem „Jetzt” sprechen. Weil die Erderwärmung so weit weg, so wenig greifbar und so vage ist, wird sie von vielen Menschen einfach nach hinten priorisiert: Ja, man muss etwas tun. Aber die kaputte Spülmaschine, Stress auf der Arbeit und der Ausfall der Ganztagsbetreuung in der Kita erlauben dann nichts anderes mehr.
Das beschreibt auch ein anderes Modell: Der „finite pool of worries” (begrenzter Vorrat an Sorgen), entwickelt von den Psychologen Patricia Linville und Gregory Fischer. Studien bestätigen das, und es klingt auch einfach logisch: Man macht sich über Probleme weniger Sorgen, wenn sich andere Dinge gerade aufdrängen. Und das passiert in unserem Alltag ständig.
Dass der Klimawandel durchaus alle Punkte des PAIN-Modells anspielen kann, zeigt sich aber auch, etwa bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. Die Schicksale einzelner Betroffener gingen medial durch das ganze Land, als dieses plötzlich auftretende Hochwasser Häuser mitriss und Leben nahm. Hier, bei uns, ganz greifbar. Auch deswegen waren die Reaktion so stark und die Hilfsbreitschaft so groß. Und die Sorge: Denn zum ersten Mal zeigte sich in Deutschland tatsächlich eine große Katastrophe, die von der Erderwärmung begünstigt wurde.
Den Klimawandel greifbar machen
Und auch Klimaaktivisten und Kampagnen machen sich die Punkte zunutze, kommunizieren den Klimawandel entsprechend. Fridays for Future-Gründerin Greta Thunberg gab in ihrer „How dare you“-Rede etwa den älteren Generationen und Politikern die Schuld am Klimawandel und daran, dass bisher so wenig passiert ist. „Ihr habt das verursacht, ihr macht zu wenig, das ist unmoralisch!“ ist der Grundton der Rede. Ähnliches gilt für die Letzte Generation: Nur werfen sie das Fehlverhalten durch ihre Blockaden auch der autofahrenden Mittelschicht vor. Damit geben sie und Thunberg der Erderwärmung ein Gesicht – etwas, auf das man einwirken kann.
Das fehle uns in unseren Geflechten im Alltag oft, wie Kathrin Macha, Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung an der Universität Mainz, bestätigt: „Da ist die Schwierigkeit: Dass wir in Strukturen leben, die etwas anderes vorgeben. Man fliegt in den Urlaub, fährt viel Auto, Supermärkte werfen Essen weg, alles ist jederzeit zu kaufen – solange das so ist, ist es täglich eine Anstrengung, sich als Individuum dagegen zu stellen und zu entscheiden, klimafreundlicher zu handeln.”
Selbstreflexion und der Druck auf das Individuum
Und auch Hoffnungslosigkeit und fehlende Ideen, wie man etwas ändern kann, ließen die Menschen oft einfach nichts machen. Da helfe dann auch viel Selbstreflexion: „Wenn wir uns selbst gut verstehen, können wir also sagen: Ich verdränge gerade und deshalb passt es mir sehr gut, dass bestimmte Politiker Aussagen treffen, die mich beruhigen – zum Beispiel, indem von einer irgendwann möglichen Lösung durch Technik gesprochen wird”, meint Macha. Es helfe aber auch, den Druck auf das Individuum wegzunehmen und die gesamte Gesellschaft in den Fokus zu rücken. Denn sonst könne die Verantwortung die Einzelnen oft lähmen – außerdem können wir nur als Gesellschaft die Strukturen, die wir brauchen, neu erschaffen.