Mehr Reflexion wäre angeraten

Symbolfoto: Heil

Die Wenigsten werden wohl am Freitag um 4.20 Uhr ihre Brötchen in einer Bäckereifiliale im Münsterfeld in Fulda geholt haben. Dennoch bilden sich viele ein Urteil über die Schüsse.

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ALSFELD. Die wenigsten Menschen werden wohl am Freitag um 4.20 Uhr ihre Brötchen in einer Bäckereifiliale im Münsterfeld in Fulda geholt haben. Dennoch scheinen viele, sogar sehr viele eben zu dieser Zeit genau an jenem Ort gewesen zu sein. Sie scheinen zu wissen, was passiert ist, als ein Polizist zwölf Schüsse, abgegeben hat, um einen randalierenden Afghanen zu stoppen, der letztendlich dann seinen Verletzungen erlegen ist. Das zumindest legen etliche Kommentare der vergangenen Tage auf unserer Facebook-Seite nahe. Bei der morgendlichen Lektüre bleibt da bisweilen das Frühstücksbrötchen ob zahlreicher unqualifizierter, unreflektierter und undifferenzierter Aussagen im Halse stecken. Denn hier werden Beleidigungen ausgesprochen sowie zu Gewalt aufgerufen und das alles aufgrund von Deutungshoheiten, die in dieser Form niemandem zustehen, der nicht vor Ort war. Zudem werden sie in einer Sprache und mit scheinbaren Argumenten geäußert, die bisweilen - man muss es so deutlich sagen - ekelerregend sind. Die Debatte ist aus dem Ruder gelaufen.

Es bleibt festzuhalten: Offenbar war der Randalierer in seiner Aggressivität nur mit Waffengewalt zu stoppen. Dass die Polizei immer häufiger vom Gewaltmonopol des Staates Gebrauch machen und sich mit Attacken auseinandersetzen muss, ist absolut bedenklich. Warum in diesem Fall aber zwölf Schüsse abgefeuert wurden, das müssen die Ermittlungen erst klären und nicht die Facebook-Kommentatoren. Wer auch nur während seines Wehrdienstes eine Sicherungs- und Wachausbildung erfahren hat, wird sicherlich nicht in eine solche Situation kommen wollen, und er möchte auch bestimmt nicht in der Haut des Beamten stecken. Und derjenige wird sich sicher auch nicht anmaßen, ein Urteil über welchen Beteiligten auch immer zu fällen.

Genau das aber tun im Internet derzeit etliche Menschen. Erschreckend ist es, mit welchem Duktus dies teilweise geschieht. Da werden Orden für den Polizisten gefordert, der die Schüsse abgefeuert hat. Ich wage zu bezweifeln, dass dies in dessen Sinne oder im Sinne der Behörden im Allgemeinen ist. Die Liste der Äußerungen lässt sich lange fortführen und gar noch steigern: Kommentatoren sehen ihr Steuergeld in den tödlichen Kugeln gut angelegt, während andere bemerken, bei dem Tod des Afghanen sei es lediglich schade um das verbrauchte Schwarzpulver. Wieder andere stellen teils befriedigt fest "einer weniger ... aber ein paar sind noch übrig". Lautstark wird gefordert, Flüchtlinge in ein Bundeswehrtransportflugzeug "Transall" zu verfrachten und über ihren Heimatländern abzuwerfen, oder gleich all diejenigen, die "stressen", zu erschießen. Weitere Autoren bieten bei Letzterem sogar ihre Hilfe an. Und dann gibt es noch Mütter (Ja, sind die das denn überhaupt?), die kundtun, dass es ihnen nichts ausmachte, wenn der eigene Sohn erschossen würde, wäre er gewalttätig gegenüber Dritten geworden. All das ist unglaublich menschenverachtend und nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Auf der einen Seite ist eine so unmittelbare Demonstration für den Getöteten genauso wenig gutzuheißen, wie die schnelle Vorverurteilung der Polizeibeamten. Auf der anderen Seite gilt es aber auch, Ruhe und Zurückhaltung zu wahren sowie die Ermittlungsergebnisse abzuwarten, bevor es heißt: Die Polizei hat wirklich alles richtig gemacht. Zumal gerade diese Aussage in den Kommentaren als Lobrede oft eine rassistische Konnotation erhält. Denn die Autoren, die "ihr Vaterland" bedroht sehen, dessen Geschichte sie jedoch nicht verstanden haben und die allzu oft nicht einmal ihrer Muttersprache mächtig sind, beziehen sich nicht auf das tatsächliche Handeln der Beamten, sondern schlichtweg auf den Tod des Flüchtlings. Es ist zwar nur eine Minderheit, aber bedauerlicherweise eine laute und eine somit beängstigende Personengruppe. Ein wenig mehr (Selbst-)Reflexion wäre so manchem angeraten.

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Von Andreas Ungermann