Wiesbaden ist interessant und flexibel - findet der Mainzer Kabarettist Lars Reichow. In seinem Gastkommentar gratuliert er der Stadt zur City-Bahn. Und träumt von einer Gondel...
WIESBADEN. Neulich hab’ ich erst erfahren über die Pläne, die hier in der Stadt diskutiert werden. Wiesbaden bekommt vielleicht wieder eine Straßenbahn – Verzeihung, eine City-Bahn! Also ich als Mainzer kann Ihnen zu dieser Idee nur gratulieren. Wir sind sehr glücklich mit unserer Straßenbahn, auch die neue Strecke auf den Lerchenberg bis zum ZDF macht sich bezahlt. Wir haben viel mehr Fahrgäste als vorausgesagt.
Natürlich haben manche Leute hier in Wiesbaden recht, wenn sie ein bisschen skeptisch sind wegen der CityBahn-Trassen, die vielleicht durch ihre Wohnstraßen führen und den Boden zum Vibrieren bringen. Diese Diskussionen gab es bei uns auch. Aber inzwischen haben viele Anwohner gemerkt, wie praktisch das ist, wenn man ein öffentliches Verkehrsmittel in der Nähe hat. Unter uns: Es steigert sogar noch den Wert des Hauses! Und ich finde, das Geräusch einer Straßenbahn ist nie so unangenehm wie das eines tiefergelegten Sportwagens, der mit Vollgas anfährt.
Schwäche für schöne Häuserzeilen
Also eine City-Bahn würde Wiesbaden gut anstehen. Und die Verbindung nach Mainz wäre natürlich ein Traum. Wir Mainzer mögen Wiesbaden sehr gern und sie könnten unseren Betriebshof mitnutzen. Wir kämen dann noch öfter zu Ihnen rüber. Zu Besuch, zum Einkaufen. Ins Theater oder zum Spazieren gehen im Kurpark. Wir zeigen Ihnen, wie man sich verkleidet und Sie geben uns Tipps, wie man eine Autobahnbrücke baut...
Das Mainzer Stadtbild ist durch den Krieg völlig verhunzt und lässt sich auch nicht mehr reparieren. Deswegen haben wir eine Schwäche für schöne Häuserzeilen und gelungene Gebäude-Ensembles. Bei uns entsteht leider nur selten etwas Neues und noch seltener etwas Gelungenes. Die Mainzer neigen zur unendlich langen Diskussion und am Ende scheint bei uns die Bevölkerung zufriedener, wenn alles so bleibt, wie es war. Wir mögen keine Veränderungen. Deshalb hinken wir auch hinterher. Neulich hat mir jemand gesagt, Mainz habe keinen Ehrgeiz.
In Wiesbaden scheint mir das anders zu sein. Der Mix aus erfolgreichen Geschäftsleuten und tapferem Beamtenstand, Millionären, mittelständischen Gutverdienern, ehrgeizigen Einwanderern macht diese Stadt interessant und flexibel. Wenn hier gut geplant und gebaut wird, dann kommt etwas Besonderes heraus. Ich gratuliere zum neuen RheinMain-Congress-Center, dieses Gebäude ist ein ästhetischer Genuss, es schmückt die Stadt und stärkt den Wirtschaftsstandort. Die Tatsache, dass Henning Wossidlo das Projekt zeitgerecht und im Kostenrahmen verwirklichen konnte, macht ihn zu einer Lichtgestalt im bundesdeutschen Baumanagement und stellt die Verantwortlichen in Berlin und Stuttgart ziemlich in den Schatten.
Raffinierte Verkehrsplanung fehlt
Was in Wiesbaden jetzt noch fehlt, ist eine raffinierte Verkehrsplanung. Ich habe neulich in der Nähe vom 2. Ring eine junge Mutter beobachtet, die mit ihren Kindern im Anhänger auf der belebten Straße fuhr. Einen Fahrradweg gab es nicht. Sie kämpfte sich durch den hektischen Verkehr, musste mehrfach scharf abbremsen, schlingerte sogar einmal mit dem Anhänger. Gleich neben ihr hupte ein Lkw und die Reifen einer Limousine quietschten. Die Kinder saßen mit aufgerissenen Augen in ihrem Anhänger, wurden hin- und hergeschüttelt. Im Wegfahren stieß der Lkw noch eine dunkle Rußwolke aus.
Meine Güte, solche Bilder sind eine Zumutung für Eltern, eine entsetzliche Gefahr für das Leben der kleinen Kinder. Ich hätte nie gedacht, dass das in einer so wohlhabenden Stadt wie Wiesbaden möglich ist. Was wir der nächsten Generation da bieten – Wiesbaden steht ja nicht alleine mit diesen Zuständen, was den Luftschutz, was den Lärmschutz und auch den Anteil an Grünflächen angeht – das ist nicht nur ärgerlich, sondern beschämend.
Wiesbaden wird also vielleicht demnächst leise, schadstofffrei und elektrisch! Viel Erfolg und einen langen, gesunden Atem. Vielleicht ist die Zeit eines Tages reif für eine Gondel vom Neroberg zum Lerchenberg. Im Kurpark trudeln Elektro-Droschken hinter Hybrid-Pferden (50 Prozent Hafer, 50 Prozent Kleie), über den Straßen huscht ein Mix aus Bahn, Elektro-Rädern und autonomen Kur-Taxen und für besonders wohlhabende Gegenden gibt es Personen-Drohnen.
Und – wenn ich mir diese Anmerkung noch erlauben darf – denken Sie sich noch einen etwas persönlicheren Namen aus für die City-Bahn. Vielleicht „Schwefelbähnchen“, „Kaiserblitz“ oder „Wiesbadener Kurier“.
Lars Reichow ist Kabarettist, Musiker und Moderator. Er gastiert am 10. Dezember um 19.30 Uhr mit seinem Best-Of-Programm „Wunschkonzert“ im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden. Tickethotline: 0611-132325.
Von Lars Reichow