Gerd Ruttau lebt seit 1995 in Hochheim und fragt, wie lange müssen Fahrgäste noch auf einen frei zugänglichen Bahnhof in Hochheim warten?
(Foto: Jürgen Kunert)
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HOCHHEIM - Um mobil unterwegs sein zu können, ist Gerd Ruttau auf seinen E-Rollstuhl angewiesen. Seine individuelle Bewegungsfreiheit hat überall dort ihre Grenzen, wo bauliche Stolpersteine unüberwindbare Barrieren darstellen. Das wird für ihn insbesondere immer dann bemerkbar, wenn er sich öffentlicher Verkehrsmittel bedienen muss. Niederflurbusse sind hier im positiven Sinne als Meilenstein zu sehen. Halten diese dann auch noch an barrierefreien Haltestellen, lässt es sich problemlos ein- oder aussteigen.
In Hochheim sind solche Haltestellen weitestgehend umgesetzt, in den großen Städten in der Region ist es durchaus noch üblich, dass der Busfahrer eine Stahlplanke im Ausstiegsbereich auslegen muss, um ein sicheres Ausrollen für Rollstuhlfahrende auf den Bürgersteig zu ermöglichen. Immerhin, Busfahren ist möglich und die Teilhabe an diesem öffentlichen Verkehrsmittel für Menschen mit oder ohne Beeinträchtigungen gewährleistet.
Die Wein- und Sektstadt Hochheim gehörte für mehrere Jahre zu den sechs Modellkommunen Inklusion des Landes Hessen. In der damaligen Auflistung zur Ausgangslage wurde damals festgestellt: „3.608 Personen mit festgestellter Behinderung leben 2014 in Hochheim. In Hochheim ist außerdem die Antoniushaus gGmbH ansässig, ein karitatives und gemeinnütziges Dienstleistungsunternehmen. Hier können sich körper- und mehrfach behinderte Menschen schulisch, beruflich und sozial rehabilitieren. Darunter sind viele Rollstuhlfahrer. Der Bedarf an (vor allem baulicher) Barrierefreiheit ist in Hochheim überdurchschnittlich hoch“, heißt es in einem Bericht.
Letzteres trifft insbesondere für den Bahnhof in der Südstadt zu. Die Anlage verfügt ausschließlich über Treppenzugänge zu den Gleisen 2 und 3. Aufzüge existieren keine. Die Situation ist seit Jahrzehnten bekannt. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention fordert unter anderem einen barrierefreien Zugang zur Nutzung von Transportmitteln des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Ein hehres, jedoch verbindliches Ziel. Bislang bleibt dies am Hochheimer Bahnhof allerdings auf der Strecke. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, für die Treppen gehen nicht möglich ist, sind bis heute von einer vollständigen Nutzung des Angebots im Zugverkehr ausgeschlossen.
Die Stadtverordnetenversammlung hatte sich in der vergangenen Wahlperiode mit entsprechendem Nachdruck für einen barrierefreien Umbau des Bahnhofs eingesetzt. Und die Bahn, beziehungsweise das Tochterunternehmen, das auch für den Ausbau der Bahnhöfe verantwortlich zeichnet, kam auch nach Hochheim. Im zuständigen Fachausschuss wurden die verschiedenen möglichen Ausbauvarianten vorgestellt und die Stadtverordneten präferierten schließlich eine Option und beschlossen verbindlich die Kostenbeteiligung an dieser Variante, ein mehrstelliger Millionenbetrag. Das war 2018. Dann ruhte still der See. Auch deshalb, weil zur Finanzierung und Umsetzung solcher Projekte regionale und überregionale Akteure involviert sind, wie der RMV, das Land und der Bund. Erst vor Kurzem wurde zum wiederholten Mal der Bürgermeister zum Ist-Stand in Sachen Projektplanung angefragt. Nachdem Hochheim die Zusage der Kostenbeteiligung beschlossen hatte, liegt das alles außerhalb des Kompetenzbereichs der Stadt. Westedt sagte den Stadtverordneten zu, in einer der nächsten Bau-, Verkehrs- und Umweltausschusssitzungen Planer der Bahn einzuladen, um endlich konkrete Aussagen zu erhalten, ab welchem Zeitpunkt mit dem Beginn des Projekts „barrierefreier Bahnhof“ gerechnet werden könne. Schließlich ist Hochheim offiziell anerkannter Tourismusort und durch die Teilhabe an der Destination Rheingau wird dies in Zukunft sicherlich auch für mehr Tagesausflügler sorgen, die unter anderem die historische Altstadt mit St. Peter und Paul besuchen oder in den Museen der Stadt vorbeischauen möchten. Vor dem Hintergrund umweltbewussten Anreisens werden zahlreiche Ausflüglerinnen und Ausflügler auf den Schienenverkehr setzen. Darunter werden Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sein, die keine Treppen gehen können. Diese Personen hätten dann alle ein gravierendes Problem, entweder bei der Anreise oder Abreise, je nachdem aus welcher Richtung sie mit dem Zug kommend in Hochheim landen. Denn nur das Gleis 1 lässt sich barrierefrei erreichen.
Unlängst bekam dies Gerd Ruttau zu spüren. Der im Erwachsenenwohnbereich des Antoniushauses lebende Hochheimer fuhr mit dem Zug Mitte Mai von einem Wochenendbesuch seiner Eltern von Frankfurt aus zurück nach Hochheim. Normalerweise hält die S1 aus dieser Fahrtrichtung kommend an Gleis 1. Aufgrund eines technischen Problems wurde der Zug zum Halt auf Gleis 3 umgeleitet. Damit war für Ruttau das Aussteigen undenkbar, denn mit seinem E-Rolli hätte er niemals das Bahnhofsgelände verlassen können. So musste er weiterfahren mit der S-Bahn Richtung Wiesbaden, um schließlich im Bus nach Hochheim zurück ins Antoniushaus zu gelangen. „Das hat mich mehr als eine Stunde Umweg gekostet“, ärgert sich der junge Mann. Dabei hatte er noch Glück, weil er ortskundig ist und wusste, dass er jetzt weiterfahren muss und auf keinen Fall aussteigen.
Ruttau nannte es absurd, dass der Bahnhof von Hochheim noch nicht inklusionstauglich gemacht worden sei. „Das Antoniushaus gibt es nun schon über 100 Jahre. Es ist bekannt, dass dies eine Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen ist. Diese nehmen am sozialen Leben teil und nutzen auch öffentliche Verkehrsmittel. Es gibt doch gesetzliche Rahmenbedingungen. Die Bahn muss sich bewegen“, meint der Hochheimer Mitbürger genervt.