„Gute Miene zum bösen Spiel machen muss ich Gott sei Dank nicht“
Von sth
Claudia Weltin im Büro ihrer Kanzlei in der Kirchstraße. Als Notarin ist mit 70 Jahren für sie dieses Jahr laut Gesetz Schluss. Als Anwältin will sie aber weiter praktizieren.
(Foto: Steffen Thimm)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
HOCHHEIM - Streitbar war Claudia Weltin schon immer; dabei aber immer offen und ehrlich zu ihren Gesprächspartnern. Das hat der gebürtigen Hochheimerin, die am Montag 70 Jahre alt geworden ist, viel Respekt und viele Freunde eingebracht. Für Freunde in einer Notlage arbeitet sie schon mal eine Nacht durch.
Im Interview spricht die stadtbekannte Anwältin, Notarin, FWG-Mitglied und amtierende Stadtverordnetenvorsteherin über ihren Weg zur erfolgreichen Juristin und Politikerin, prägende Momente und was sie sich für Hochheim wünscht.
Frau Weltin, erst mal herzlichen Glückwunsch! Haben Sie schon ein bisschen gefeiert?
Ja, das ließ sich nicht vermeiden.
Planen Sie dieses Jahr vielleicht eine größere Feier?
Wenn es möglich wäre, ja. Ich habe ja sonst immer die Runden gefeiert.
Wenn Sie 70 Jahre zurückgehen könnten und noch einmal ganz neu anfangen: Was würden Sie anders machen?
Nichts, ich würde immer wieder den gleichen Beruf, das gleiche Studium wählen. Weil ich unabhängig bin, selbstständig. Ich kann machen, was ich will. Das bereitet mir einfach großen Spaß.
Was genau an Ihrem Beruf macht Ihnen Spaß?
Einmal die Unabhängigkeit und das Gerechtigkeitsempfinden, was die Anwaltstätigkeit betrifft.
Ihr Vater Hans-Hugo Weltin war ebenfalls Anwalt und Notar. Hat er Ihnen den Sinn für Gerechtigkeit „eingeimpft“?
Das bleibt in so einem Haushalt sicherlich nicht aus. Aber eingeimpft worden ist mir eigentlich nichts. Bei meinen Eltern durfte ich tun, was ich wollte, sie waren sehr liberal. Ich kam schon früh zu den Ehrenämtern, mein Vater war auch ehrenamtlich tätig, das bleibt. Er war in der FDP und hat unter anderem den Verkehrsverein Hochheim gegründet.
Auf welches Ereignis oder welche persönliche Errungenschaft sind Sie besonders stolz?
Dass ich die 70 Jahre ohne große Krankheiten heil überstanden, das Büro am Laufen gehalten habe und die ganze Zeit ehrenamtlich tätig war. Aber man macht auch Fehler, das bleibt nicht aus.
Welche Fehler meinen Sie?
Man hätte privat sicherlich manches anders machen können. Wenn meine Eltern mir gesagt hätten „das tust du nicht“, dann habe ich es gerad‘ getan. Das ist halt Steinbock-Mentalität.
Ihr Sternzeichen ist also Steinbock, was sind dessen Eigenschaften, vielleicht Beharrlichkeit?
Ja, sicher eine gewisse Sturheit – manchmal mit dem Kopf durch die Wand.
Aber das Motto „Je ne regrette rien“ von Edith Piaf trifft es bei Ihnen, oder?
Mit Sicherheit. Man hätte anderenfalls manche Bekanntschaften nicht. Und viele meiner Bekanntschaften sind vor mir weggestorben. Es ist halt so, das kann man nicht ändern.
Das stimmt, das Leben geht immer weiter ...
Letztes Jahr hatte ich drei Trauerfälle, das war schon happig, muss ich sagen. Das Schlimme ist: Wenn man selbstständig ist, muss man weitermachen – sonst würde man sich vielleicht hängenlassen. Aber das ist keine Steinbock-Mentalität.
Hängenlassen haben Sie sich ja wirklich nie. Sie sind unter anderem in mehreren Vereinen aktiv, sind Gründungsmitglied der Stiftung „Unser Hochheim“ und deren Vorsitzende. Haben Sie da noch Zeit für Privates?
Ich nehme mir die Zeit, aber es wird knapp. Ich muss mit 70 als Notarin aufhören (gesetzliche Altersgrenze; Anm. d. Red.), dann wird es etwas weniger. Mein Vater musste mit 70 auch als Anwalt aufhören, ich darf weitermachen – bis zum Umfallen, werde ich aber nicht.
Haben Sie sich selbst eine Altersgrenze gesetzt?
Ich mache als Anwältin so lange weiter, wie es mir Spaß bereitet.
Zurück zu Ihren Aufgaben. Sie sind Stadtverordnetenvorsteherin, sind abends bei Präsidiums- und Ausschusssitzungen. Wollen Sie da nicht mal kürzertreten?
Man muss erst mal die nächste Kommunalwahl und das Ergebnis abwarten, was dabei rauskommt.
Wie hilfreich ist eigentlich Ihr Beruf in Hinblick auf Ihre Funktion in der Stadtpolitik?
Man lernt schon ein bisschen, solche Sitzungen zu leiten und mit anderen umzugehen. Ich bin auch immer bemüht, die Sitzungen relativ kurz zu halten, nicht ausufern zu lassen. Ich bin vielleicht manchmal auch zu hart, ich weiß es nicht.
Wie meinen Sie das?
Wie jetzt beim Herrn Westedt (Stadtverordnetenversammlung am 16. Dezember, in der der Bürgermeister Claudia Weltin vorgeworfen haben soll, sie würde die Fraktionen „aufhetzen“; Anm. d. Red.), wenn ich mich so tierisch aufrege. Ich finde einfach, es gehört eine gewisse gegenseitige Toleranz und Respekt dazu. Und wenn die nicht da sind, dann klappt das auch nicht.
Eigentlich kann Ihnen das niemand krummnehmen, in dem Moment haben ja Toleranz und Respekt Ihnen gegenüber gefehlt.
Natürlich, aber es sind halt nicht alle begeistert.
Man kann halt nie alle zufriedenstellen, heißt ein Sprichwort.
Finde ich auch, habe auch gar nicht die Absicht. Aber das gibt einem die Sicherheit, wenn man von niemand abhängig ist. Gute Miene zum bösen Spiel machen muss ich Gott sei Dank nicht und das habe ich auch sicherlich meinem Vater zu verdanken. Er hat mich als Frau unabhängig erzogen, sodass ich nie auf die Idee kam „du musst unbedingt einen Versorger haben“.
Themenwechsel. Was wünschen Sie sich für Hochheim, was braucht die Stadt?
Was mir ein bisschen an Hochheim „fehlt“: Es wird sich so verzettelt. Es werden viele Dinge angefangen, nicht fertiggemacht. Und Hochheim muss erst mal für die Hochheimer lebens- und liebenswert bleiben. Wir wollen ja keine Großstadt sein, manchmal geht so die gewisse Atmosphäre flöten.
Spielt Ihre Aussage vielleicht auf neue Projekte wie die Boris Becker Tennis Akademie an?
Ich denke, die tut Hochheim nur gut. Aber ich habe mich ja dafür eingesetzt, dass der Hochheimer Tennisverein seinen Pachtvertrag verlängert bekommt. Das ist mir wichtig. Denn sonst wäre das Gelände dort zugepflastert worden. Nur, wenn die ganze Stadt so verdichtet wird, ist das nicht mehr schön. Der Reiz von Hochheim liegt darin, dass es eine kleine Stadt ist, in der kulturell viel passiert und Straußwirtschaften alle nebeneinander leben können. Und wenn überall nur noch Wohnblöcke hinkommen, ist das nicht mehr „mein Hochheim“.
Um solche Themen gibt es ja ständig ein Hin und Her in der Politik. Wie empfinden Sie das?
Das ist nicht meine Art. Ich sage gern einfach meine Meinung, weil ich denke: Das muss mal auf den Punkt gebracht werden. Diese stundenlangen Debatten um nichts, die bringen nichts. Es ist ja so: Wenn einer was sagt, müssen alle anderen auch was sagen. Dann wird stundenlang diskutiert und es kommt nichts dabei raus. Irgendwann muss man zu seiner Meinung stehen.
Finden Sie, dass in Hochheims Politikwelt die Stadtverordneten zu ihren Meinungen stehen?
Das ist verbesserungsbedürftig, eindeutig. Es müsste Sinn und Zweck sein, dass alle Parteien zusammenwirken. Machtkämpfe oder Streitigkeiten sind eigentlich überflüssig. Debatten waren früher sach- oder zweckdienlicher. Heute vermisse ich das manchmal. Da wird Kreistags- oder Landespolitik in Hochheim gemacht. Das, finde ich, hat nichts mit Kommunalpolitik zu tun.
Sie gelten als streitbar und dass Sie offen Ihre Meinung sagen. Haben Sie ein Beispiel?
Als ich überlegt habe, ob ich das Amt der Stadtverordnetenvorsteherin annehme, hat der Vorsitzende der FWG-Fraktion Eric Müller zu mir gesagt: „Jetzt sei nicht so zickig und mach das endlich“ – den Spruch bereut der heute noch (lacht).
Was haben Sie eigentlich 2016 für Erfahrungen gemacht, als Sie Stadtverordnetenvorsteherin wurden?
Herrn Jung (Klaus-Dieter Jung, Bürger- und Vereinsreferent der Stadt; Anm. d. Red.) muss ich wirklich loben. Er hat mich ungemein unterstützt, Kontakt zu den Vereinen hergestellt. Und auch das Rathaus und die Mitarbeiter haben mich eigentlich immer unterstützt. Herr Jung sagt mir sogar, was ich zu offiziellen Anlässen anziehen muss, das mache ich aber nicht immer (lacht).
Zum Schluss noch ein Ausblick: Was wünschen Sie sich persönlich?
Hauptsache gesund bleiben, das ist mir eigentlich das Wichtigste; ab und an eine kleine Auseinandersetzung (lacht).