Der Chor des Bayerischen Rundfunks in Sankt Peter und Paul unter der Leitung von Howard Arman. Auf der Kanzel der Solist Andreas Hirtreiter.
(Foto: Dietmar Elsner)
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HOCHHEIM - Hat sich der Chor des Bayerischen Rundfunks einen kleinen Umweg gegönnt auf seinem eigentlichen Weg in die Frankfurter Alte Oper? Es ist jedenfalls recht ungewöhnlich, dass ein solcher Chor mit höchstem Ansehen in aller Welt in Hochheim in St. Peter und Paul auftritt. Schließlich sind die Sängerinnen und Sänger anderes gewohnt, wie beispielsweise die Salzburger Festspiele oder die Hamburger Elbphilharmonie. Sie arbeiten mit den Berliner und Wiener Philharmonikern zusammen und der designierte Chefdirigent ist kein geringerer als Sir Simon Rattle. Zum künstlerischen Leiter wurde Howard Arman ernannt. Der in London geborene und meist in den großen Opernhäusern und Konzertsälen Europas tätige 67 Jahre alte Dirigent leitete auch in Hochheim den Chor.
Pünktlich um 15 Uhr schritten am Sonntag die 28 Frauen und Männer des Chores durch die Gänge neben den Kirchenbänken in Richtung Altar. Alle warm angezogen, alle in Schwarz gekleidet. Sie verteilten sich, einige nach hinten, einige in die erste Bank, neunzehn blieben stehen. Ohne Umschweife begann Arman sofort mit dem Hauptwerk des Nachmittags, mit „Inviolata, integra et casta est“ des vor genau 500 Jahren verstorbenen Komponisten Josquin Desprez.
Das Werk wurde in originaler, also lateinischer Sprache vorgetragen. Die gesamten Texte aller vier auf dem Programm stehenden Kompositionen (drei lateinische und eine französische) waren im gedruckten Programm übersetzt worden. Was der mehrstimmige Chor zu Beginn in den hohen Kirchenraum sang, bedeutete: „Unverletzlich, unbefleckt und keusch bist du, Maria.“
Wie mögen diese Klänge auf die Gläubigen um 1500 gewirkt haben? Dieser feine, helle, harmonische Gesang aus vielen Stimmen? Ohne Orgel, ohne Instrumente. Sie erlebten vermutlich himmlische Klänge, die an Engelsgesang erinnerten und bei den Zuhörern zu tiefer Ergriffenheit führten. In Hochheim nun von einem Chor von Weltrang mit seinen selbst in den höchsten Höhen immer sauberen klaren Stimmen vorgetragen. Vermutlich hörten die Besucher von St. Peter und Paul gerade in die tiefreligiöse Welt vor gut einem halben Jahrtausend hinein.
Doch es blieb für den Zuhörer auch eine gewisse Distanz zum Werk, gefördert von einer Sprachbarriere, die im Mittelalter noch größer gewesen sein muss – wer versteht schon lateinische Texte?
In einer kurzen Moderation erklärte Howard Arman die Absicht des Konzertes mit dem Titel „Josquin-Reflexionen“. Zwei Epochen, das ausgehende Mittelalter und die Neuzeit, wollte er gegenüberstellen. Und er zeigte dabei auf, wie sich die Komponisten bis ins 20. Jahrhundert von Josquin Desprez beeinflussen ließen, wie sie auf das Modell der Vergangenheit zurückgriffen, um daraus Neues zu schöpfen.
Der Chor präsentierte dies anhand der Kompositionen von André Caplet (1875–1925), Francis Poulenc (1899–1963) und Darius Milhaud (1892–1974). Alles schien tatsächlich miteinander verwandt zu sein, die Kompositionen, die Sängerinnen und Sänger, der Dirigent. Alles ging wie selbstverständlich harmonisch ineinander über.
Es war eine Freude, dem Dirigenten, den Sängerinnen und Sängern zuzuschauen. Arman dirigierte hoch konzentriert, die Chormitglieder beobachteten ihn gespannt, folgten seinen feinsten Bewegungen. Er ist offensichtlich ein beliebter Chorleiter, immer wieder lächelte er seine Sängerinnen und Sänger an und das Lächeln kam immer zurück. Arman diktierte nicht, er ermunterte lediglich sanft, dennoch stimmten alle Einsätze absolut präzise.
Wie sich die Mehrstimmigkeit aus der Gregorianik heraus entwickelt hatte, verdeutlichte vor allem das letzte Werk: Trois psaumes de David (Drei Psalmen Davids). Darius Milhaud ließ das Konzept der einstimmigen Gregorianischen Gesänge auf eindrucksvolle Weise in Beziehung zum mehrstimmigen Chor treten. Ein Beispiel: Von der Kanzel herab sang der Tenor Andreas Hirtreiter (übersetzt): „Lobt Gott in seinem Heiligtum“, und der Chor antwortete vielstimmig in seiner eindrucksvollen Klangfülle: „Lobt ihn für seine großen Taten.“
Große Worte beendeten das Konzert: „Nicht die Toten werden dich loben, sondern wir, die da leben.“
Es war ein wunderbares, im wahrsten Sinne des Wortes wohl einmaliges Ereignis.