HOCHHEIM - Für ein paar vorweihnachtliche Stunden musste der Corona-Alltag draußen bleiben. Drinnen im weihnachtlich geschmückten Gastraum des Weinguts Mitter-Velten war alles wie früher. Keine Abstände, keine Masken, keine Angst vor einer Covid-Infektion. Durch die konsequente Kontrolle am Eingang kam nur durch, wer geimpft, genesen und in den letzten 24 Stunden getestet worden war.
Man konnte sich sicher fühlen, sich ungezwungen bewegen, plaudern. So, wie das früher ganz selbstverständlich war.
Gute-Laune-Abend für 80 Personen
Die Nachfrage nach Tickets war groß, die Besucherzahl jedoch auf rund 80 Personen begrenzt. Die Veranstalter einigten sich auf zwei Termine, am 1. und 2. Dezember. Nach dem Essen, der hochgelobten Lauchcremesuppe und dem Rinderbraten, begann das eigentliche Programm. Der Titel: „Wie! Schon wieder Weihnachten?“ Rund vierzig, meist kurze Darbietungen, sorgten für Weihnachtsstimmung und gute Laune. Die drei Künstler sind alte Bekannte in Hochheim.
Ulrike Neradt wurde 1951 in Martinsthal geboren, war schon Rheingauer und 1972 sogar Deutsche Weinkönigin. Seit 1990 steht sie hauptberuflich als Kabarettistin und Chansonnette auf vielen Bühnen. So richtig bekannt wurde sie durch das Fernsehen, als sie beim SWR von 1994 bis 2007 den „Fröhlichen Weinberg“ moderierte. Sie schrieb etliche Bücher, meist in hessischer Mundart, leitete viele Jahre lang den Rheingauer Mundartverein. Vielseitig, wie sie ist, sang und tanzte sie auch von 2006 bis 2017 im Musical „Feucht & Fröhlich“.
Zwei Kollegen nahmen rechts und links von ihr Platz. Der Schauspieler, Sänger, Musiker und Kabarettist Klaus Brantzen fühlt sich am Theater und auf Festspielbühnen am wohlsten. Auf dieser kleinen Bühne in Hochheim rezitierte er, sang, spielte Harfe, Flöte und das urige Streichpsalter. Der Pianist Jürgen Streck glänzte mal mit jazzigen, dann wieder gefühlvollen Stücken auf dem E-Piano.
Mit einem Adventslieder-Potpourri stimmte er die Gäste auf einen besinnlich-heiteren Abend ein. Ulrike Neradt kommentierte: „So kann es weitergehen.“ Jürgen Streck widersprach: „Muss aber net…“ und begann mit einem Gedicht, in dem der Schokoladenosterhase im Supermarktregal lückenlos vom Weihnachtsstollen abgelöst wird. In diesem witzig-frechen Stil ging es weiter: „Und brennt das Lichtchen Nummer Acht, dann feiern wir die Fassenacht.“ Als Opa den Nikolaus für die Kinder spielen wollte, meinte Oma: „Das geht in die Hose, als Nikolaus nimmt mer an Große!“ Ulrike Neradt sang danach gefühlvoll: „Die Nacht bricht ein, der Mond geht auf.“
In der folgenden, etwas schrägen Lilienchron-Legende ging es um einen bösen Schlachter, um grob geteiltes Pökelfleisch und drei Kinder, die sich trotzdem wie im Paradies fühlten.
Lustige und nachdenkliche Gedichte folgten, auch Erzählungen und natürlich stimmungsvolle Lieder. Den Gästen gefiel es sehr. In der Pause wurde der Nachtisch, eine rote Grütze mit Vanillesoße im Weinglas, serviert.
Jürgen Streck mimte einen selbstverliebten Pianisten, der beim Weihnachtskonzert ständig seine Haare aus den Augen schütteln muss. Virtuos spielte er Mozart-Variationen, immer wieder begleitet von recht unpassenden Kommentaren einer wenig bewanderten Konzertbesucherin: „Des kenn ich doch!“ oder „Des is a schöns Lied, des kann ich dir sagen“ oder „Wer hat denn des komponiert?“
Herzhaft gelacht wurde auch beim Vergleich von Geigen und Trompeten und einem rein theoretischen Tausch der Instrumente: „Der Trompeter könnte doch auch in eine Geige blasen!“
Die zweiten Mozart-Variationen und der nachfolgende Sketch hätten durchaus von Loriot stammen können. Da sollte ein Hochheimer Metzger ein Filet ohne Knochen liefern: „Da wartet man unendlich lang auf Kundschaft und wenn sie dann kommt, was verlangt sie dann?“
Ein beneidenswerter Vater musste die knusprige Weihnachtsgans allein verzehren, weil die Familie sich auf seinen Rat hin schon mit Kartoffeln satt gegessen hatte. Anschließend konnte das bestens aufgelegte Publikum beim total verjazzten „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ lautstark mitsingen und bei der Familientragödie „Wer nimmt die Oma an Heiligabend?“ verständnisvoll mitfühlen.
Die Zeit verging wie im Fluge. Einer der Höhepunkte war das Gedicht „Ruprecht 2.0“ von Günter Steppich: „Morgen flieg ich hinab zur Erden, denn es soll noch digitaler werden, da gibt’s noch eine kleine Stadt, die facebookfreie Kinder hat … das Tablet ist schon hier, denn Apfel, Nuss und Mandelkern, halten nur vom Daddeln fern.“ Ulkige Erkenntnisse kamen ans Licht: „Weihnacht ist das Fest der Lust, da tun sich vermählen Bethlehem und Gänsebrust.“ Ulrike Neradt stand auf: „Und nun singen wir gemeinsam: „Kling Glöckchen klingelingeling, alle Jahre wieder, süßer die Glocken nie klingen, oh du fröhliche…“ Nicht jeder war textsicher.
Organisatorin Angelika Kohl bedankte sich, auch im Namen der Besucher und der gastgebenden Familie Mitter-Velten: „Es war ein wunderbarer Abend, weil wir so schön beisammen sein und singen konnten. Das ist in der heutigen Zeit etwas ganz Besonderes.“
Nach den Zugaben sagte Ulrike Neradt gerührt: „Ach war das schön! Aber am Sonntag ist das alles vorbei. Ich mag gar nicht daran denken.“
Doch da irrt die sympathische Künstlerin. Siehe hierzu den neben stehenden Infokasten. Solche Veranstaltungen sind, Stand jetzt, nach der seit 5. Dezember gültigen Verordnung weiterhin möglich.