Psychische Gesundheit schon in der Schule fördern

Foto: altanaka - stock.adobe
© altanaka - stock.adobe

Immer mehr junge Menschen sind von psychischen Problemen betroffen. Warum es wichtig ist, schon mit Kindern über mentale Gesundheit zu sprechen.

Anzeige

WIESBADEN. Von Stress, Prüfungsangst über Essstörungen bis hin zur Depression – psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen zu. Das belegen nicht nur die Zahlen des aktuellen Kinder- und Jugendreports der DAK-Gesundheit. Das spürt auch der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Christoph Dinter in seiner Wiesbadener Praxis. „Corona hat junge Menschen besonders getroffen“, sagt er. „Durch die Pandemie wurden soziale Ängste noch verstärkt.“ Gerade deshalb scheint es unumgänglich, das Thema psychische Gesundheit an Schulen verstärkt in den Blick zu nehmen – aber wie?

Mit Kindern über Gefühle sprechen – das ist für den Psychotherapeuten wesentlich. „Auch man selbst sollte über seine eigenen Gefühle sprechen können“, erklärt Dinter. Ein weiterer Hinweis: Nicht bagatellisieren. Wenn ein Kind traurig ist, sollte nachgefragt werden, statt ein „Ach, macht doch nichts“ zu antworten. „Es geht darum, dass man es gemeinsam aushält. Darum, zuzugeben, dass man selbst Ängste hat. Anzuerkennen, dass es etwas ganz Normales ist.“

Alle Artikel zu unserem Themenmonat „Bildung“: Hier in unserem Dossier

Anzeige

Das könne präventiv wirken, sowie soziale Erfahrungen durch gemeinsame Erlebnisse. „All das ist ein wichtiger Teil von Schule neben der reinen Wissensvermittlung“, sagt Dinter. „Meine Erfahrungen zeigen mir aber, dass heute wahnsinnig viel Leistung erwartet wird, was die Kinder und Jugendlichen unter Druck setzt.“ Das, was sie an Zeit in die Schule investierten, gleiche einer Vollzeitstelle. „Wichtig ist es, dass die Klassenlehrer ein Klima des Vertrauens schaffen. Dass man, wenn ein Schüler besondere Schwierigkeiten hat, das Gespräch sucht.“

Punktuelle Tage, an denen Achtsamkeitstrainings oder ähnliches praktiziert würden, könnten ein Zusatz oder eine Anregung sein, sagt Dinter. „Aber eigentlich müsste versucht werden, das, was psychische Gesundheit fördert, tagtäglich im Miteinander zu leben. Heißt: Auf den anderen eingehen, soziales Miteinander leben, über emotionale Verfassung sprechen.“

Neues Unterrichtsfach oder Projekttage zum Thema

In Nordrhein-Westfalen und Sachsen gibt es zum Beispiel Schulen, an denen Achtsamkeitsübungen auf dem Stundenplan stehen – mit dem Ziel, Schüler und Schülerinnen bei der Stressbewältigung zu unterstützen und ihre Konzentrationsfähigkeit zu verbessern.

Einen weiteren Ansatz in Rheinland-Pfalz bietet BEWARE, ein Projekt des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) gGmbH in Kooperation mit dem Bildungsministerium. Es steht für Bewusstsein, Aufklärung und Resilienz und verfolgt das Ziel, die mentale Gesundheitskompetenz von Schülern zu fördern. An jährlichen Projekttagen sollen sie sich, angeleitet von geschulten Lehrkräften, altersgerecht mit Themen rund um die psychische Gesundheit und Krankheit auseinandersetzen. Geleitet wird das Projekt von Prof. Dr. Michèle Wessa.

Anzeige

„Die Schule ist der ideale Ort, um über mentale Gesundheit zu sprechen, denn jedes Kind geht zur Schule. So können wir alle erreichen und es gelingt, eine Offenheit für das Thema zu schaffen – letztlich auch in der Gesellschaft“, erklärt die Resilienzforscherin. An den Projekttagen soll es laut Wessa unter anderem um solche Fragen gehen: Wie entsteht Stress und woran merke ich, dass ich gerade Stress habe? Wie erkenne ich meinen psychischen Gesundheitszustand? Und wo kann ich mir Hilfe suchen, wenn es mir nicht gut geht? „Denn was nützen mir alle Strategien, die ich gelernt habe, wenn ich letzten Endes gar nicht merke, wann ich diese Strategie einsetzen müsste?“, unterstreicht die Leiterin des Projekts dessen erhofften Nutzen.

„Es ist wichtig, dass Kinder schon früh lernen, ihre Gefühle kommunizieren zu können“

Zusätzlich erhalten die Lehrer Materialien, die sie auch während des restlichen Schuljahrs beispielsweise im Unterricht im Klassenverband begleitend einsetzen können. „Es geht um Nachhaltigkeit. Das Thema mentale Gesundheit soll wiederkehrend auf verschiedenen Ebenen an die Schüler, aber auch Lehrer, herangetragen werden“, erklärt Wessa. Eine weitere Hoffnung: Durch den verstärkten Austausch der Schüler untereinander über das Thema, nimmt auf lange Sicht auch die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Problemen ab. Die größere Offenheit könne auch dazu beitragen, dass sich mehr Menschen trauen, Hilfe zu suchen.

„Es ist wichtig, dass Kinder schon früh lernen, ihre Gefühle kommunizieren zu können und dass sie keine Scham haben müssen“, erklärt Wessa. Einerseits gehe es darum, selbst nach Hilfe fragen zu können. „Aber es geht auch darum, zu lernen, wie ich auf andere reagiere, die diese Gefühle oder Probleme haben – und wie ich sie mit meinem Verhalten in ihrer Hilfesuche unterstützen kann.“