Rehberg: Der Hunger nach Emotionen

Die Partie zwischen Mönchengladbach und dem 1. FC Köln am 11. März fand ohne Zuschauer statt. Foto: dpa
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In der Coronakrise gibt es Wichtigeres als den Komplettverzicht auf Live-Sport im TV. Warum Übertragungen von Geisterspielen dennoch bedeutsam wären, erklärt Reinhard Rehberg.

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. Wie geht es ihnen? Wie gelähmt schauen wir auf die Corona-Krise. Ein Ereignis von erdumspannenden Ausmaßen. Die Geschwindigkeit der Ansteckung erzeugt Ängste. Menschen ringen an Atemgeräten um ihr Leben. Menschen sterben. Menschen in Heil- und Pflegeberufen arbeiten unter einem erheblichen gesundheitlichen Risiko bis an den Rand der Erschöpfung. Wir müssen klarkommen mit dem Phänomen der sozialen Distanzierung. Wir leben in Geisterdörfern und Geisterstädten. Kurzarbeit mindert das Einkommen von Menschen. Kleinere und mittlere Betriebe, Vereine, Gastronomen und Künstler und viele andere bangen um ihre berufliche Existenz.

Und dann reden wir über Sport. Breitensport. Spitzensport. Große Veranstaltungen werden serienweise abgesagt. Stillstand. Der Fußball ruht. Handball, Basketball, Volleyball, Hockey, Tischtennis, Tennis, Leichtathletik, Kegeln, und so weiter. Alles ruht. Und immer wieder hören wir Stimmen, die sagen: All das gehört zum Vergnügen – und das ist in diesen Tagen nicht wichtig, das ist von untergeordneter Relevanz.

Wer wollte dem widersprechen? Und dennoch: Auch in den größten Krisenzeiten brauchen wir Unterhaltung, Ablenkung, Zerstreuung, Miteinander. Kultur und Sport, wenn man das überhaupt voneinander trennen sollte, haben eine hohe Relevanz. Menschen sehnen sich nach emotionalen Erlebnissen, nach gemeinschaftlichen Erlebnissen, nach dem Austausch darüber. Die irische Rockband U2 erzählt im Song „One“: „Zusammenhalt ist der Schlüssel. Wir sind eins, aber wir sind nicht gleich. Wir müssen uns gegenseitig stützen. Wir sind eins.“ Der eine hält das für Kitsch. Der andere schwebt nach dem Besuch eines Konzerts beseelt nach Hause und geht beflügelt in die nächste Woche, schwärmt im Kreis interessierter Arbeitskollegen von dem Musikereignis.

Der größte Klebstoff in unserer Gesellschaft ist der Sport. Das ist eine Errungenschaft. Viele von uns können noch nach Jahren sehr exakt nachvollziehen, an welchem Ort sie am TV-Gerät WM-Endspiele der deutschen Nationalmannschaft gesehen haben, viele können noch nach Jahren nachvollziehen, wann und wie Boris Becker oder Steffi Graf Wimbledon gewonnen haben, Muhammed Ali einen großen Boxkampf gewonnen hat oder wann ein deutscher Sportler Olympiasieger geworden ist. Erlebnisse, die tief verankert sind im kollektiven Gedächtnis.

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Oder schauen wir auf die vielen Fußballfans, deren Wochen über Jahre hinweg getaktet sind nach den Spielen ihres Lieblingsklubs. Und vergessen wir auch nicht die vielen Eltern, die ihre Kinder über Wochen und Monate nicht mehr in die Obhut von Vereinen geben können.

Von daher sollte man nicht leichtfertig unterscheiden zwischen wichtigen und weniger wichtigen Gefährdungen in dieser Epidemie-Krise. Der Sport und seine Ereignisse haben einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Auch deshalb werden sich viele Menschen freuen auf Geisterspiele in der Ersten und Zweiten Fußball-Liga. Selbst wenn es sich nur um ein Fernseherlebnis handelt. Wir brauchen diese Emotionen. Auch die Kommunikation darüber. Und sei es nur per Telefon.