Wir fragen in unserer Serie Wählerinnen und Wähler, was sie von der neuen Bundesregierung erwarten. Heute sagt uns Pfleger Kapil Kumar seine Meinung.
KELSTERBACH/RAUNHEIM. Was erwarten die Menschen in der Region von der Politik? Welche Drängenden Probleme müssen aus ihrer Sicht gelöst werden? Und was muss eine Kanzlerin oder ein Kanzler überhaupt können? Das wollen wir bis zur Bundestagswahl am 26. September täglich von einer Wählerin oder einem Wähler aus der Region wissen. Heute antwortet uns Pfleger Kapil Kumar (36) aus Kelsterbach.
„Ich arbeite 12 Stunden am Tag“, erzählt Kapil Kumar. Er leitet seit 2017 einen ambulanten Pflegedienst in Raunheim und muss durch fehlende Pflegekräfte oft auch selbst zu den Patienten. Generell ist die Alten- und Krankenpflege eines der Berufsfelder, das bisher zu kurz gekommen ist. In der Politik wurde viel versprochen, was nicht eingehalten wurde. Kumar erzählt, wie es zurzeit in der Pflege zugeht und was die neue Bundesregierung deshalb ab September anders machen sollte.
„Die letzten zwei bis drei Monate war es besonders schwer an Mitarbeiter zu kommen“, erzählt Kapil Kumar. Auch schon vor der Corona-Pandemie sei fehlendes Personal sein größtes Problem gewesen, durch Corona habe sich das aber noch verschlimmert. Allein in Raunheim versorgt sein Pflegedienst 150 Patienten mit 30 Pflegern und Pflegerinnen – doch das reiche nicht.
Dieser Personalnotstand liege an unterschiedlichen Gründen. Vor allem die Arbeitsbedingungen und das Gehalt müssten sich dafür ändern, fordert der 36-Jährige deshalb von der zukünftigen Regierung. Er hoffe, dass sich nach den Wahlen endlich etwas ändert. „Die Pflege muss lukrativ werden.“ Nur so könnte sich der Personalmangel lösen lassen.
"Wir arbeiten mit Menschen, nicht mit Maschinen Kapil Kumar, 36 Jahre alt und Pfleger
Zurzeit ist ein Pflegemindestlohn von 15 Euro für Fachkräfte gesetzlich festgeschrieben. Die Gehälter berechnen sich vor allem danach, was die Pflege- oder Krankenkassen für die einzelnen Leistungen bezahlen, schildert Kumar, der seit 2003 in der Pflege tätig ist. Würde die Vergütung der Leistungen aufgestockt werden, könnte er auch mehr Gehalt zahlen. Er selbst bezahle derzeit seinen Mitarbeitern schon mehr als den Mindestlohn.
Die Kassen geben zusätzlich auch den Zeitrahmen vor, in welchen die einzelnen Leistungen zu erbringen sind. Alle anderen Tätigkeiten, wie Gespräche oder kurz etwas Kleines erledigen, werden nicht bezahlt. Dazu komme, dass mit der Pflege ein hoher bürokratischer Aufwand verbunden sei. Es müsse alles genau dokumentiert werden, was wiederum viel Zeit in Anspruch nehme. Zeit, die Kumar lieber den Patienten schenken würde.
Deshalb sollte sich auch das ändern, fordert der Pflegedienstleiter. Jede Pflegesituation sei individuell, da jeder Patient anders ist. „Das kann man nicht an Zeiten messen“, schildert Kumar. Der Zeitrahmen sollte deswegen flexibler sein. Wenn dann zusätzlich noch mehr Personal zur Verfügung stehen würde, könnten auch die Arbeitszeiten attraktiver gestaltet werden, erzählt der 36-Jährige.
Seit der Pandemie benötigten seine Pfleger nämlich mehr Zeit pro Patienten als zuvor. Vor jedem Besuch müsse ein Schutzkittel, Maske und Handschuhe angezogen und nach jedem Besuch wieder ausgezogen und entsorgt werden. Damit alle Beteiligten geschützt sind, werden die Pflegekräfte zusätzlich jeden Tag und die Patienten auf freiwilliger Basis drei Mal in der Woche getestet, erzählt Kumar.
Zusätzlich fragen viele Patienten nach der Pflege nach ein paar Minuten, in welchen sie einfach nur erzählen können oder in denen die Pfleger ihnen Ängste nehmen sollen. Bei seinem Pflegedienst plane er diese Zeit extra mit ein. „Wir arbeiten mit Menschen, nicht mit Maschinen“, betont Kumar. Diese Extrazeiten werden von der Pflege- oder Krankenkasse nicht bezahlt. „Das ist harte Arbeit, die aber nicht gesehen wird“, schildert der Pflegedienstleiter.
Hier geht's es zur Serien-Übersicht: Was Wähler wollen - Menschen aus der Region kommen zu Wort
Außerdem müssten andere Patienten dadurch ein paar Minuten länger warten. „Es wissen alle Bescheid und haben Verständnis dafür“, sagt Kumar. Aber dadurch entstehen Überstunden. „Das ist kein Reifenwechsel“, vergleicht der 36-Jährige. Man könne bei den Patienten nicht in kürzester Zeit die Dienstleistung erbringen, die gefordert wird und dann direkt gehen. Es gebe immer wieder Situationen, die mehr Aufwand als geplant erfordern, zum Beispiel wenn eine neue Pflegekraft zu einem Patienten komme.
Insgesamt stehe für ihn und seine Mitarbeiter also fest: „Es muss noch mehr getan und einfachere Bedingungen geschaffen werden“, fordert der 36-Jährige von der kommenden Bundesregierung. Dafür bräuchte die nächste Bundeskanzlerin oder der nächste Bundeskanzler auch keine bestimmten Eigenschaften. Nur eines sollte die nächste Regierung auf jeden Fall: „Das Wort Pflege nicht vergessen. Denn jeder wird alt“, betont Kapil Kumar.
Sie sind noch nicht sicher, welche Partei Sie wählen? Hier gibt es Entscheidungshilfe: Noch unentschlossen? Wahl-O-Mat ist freigeschaltet.</em>