Hessens Polizei sucht nach neuer Fehler- und Führungskultur

Ein Polizeiwagen vor dem Polizeipräsidium in Frankfurt.  Archivfoto: dpa
© Archivfoto: dpa

Geht die Reform der hessischen Polizei nach verschiedenen Skandalen voran? Man sei auf einem guten Weg, betont Innenminister Peter Beuth bei der Vorstellung des Zwischenberichts.

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WIESBADEN. „Absolute Stille, gefolgt von Entsetzen, Fassungslosigkeit und Betroffenheit“: So beschreibt LKA-Vizepräsident Felix Paschek die Reaktion von Polizisten, denen man Bilder und Nachrichten aus den rechtsextremen und menschenverachtenden Chats von SEK-Kollegen. Die „Schockwirkung“ ist Bestandteil der Transparenz-Veranstaltungen, mit denen die hessische Polizei ihre Bediensteten für extremistische Inhalte sensibilisieren will. Paschek leitet die Stabsstelle Fehler- und Führungskultur, eine Reaktion auf verschiedene Polizeiskandale, darunter illegale Datenabfragen im Zusammenhang mit den „NSU-2.0“-Drohschreiben in Polizeirevieren in Frankfurt und Wiesbaden sowie besagte Chats.

Beuth: Reform ein „gewaltiger Prozess“

Die Stabsstelle hat den Auftrag, die Empfehlungen aus dem im Juli 2021 vorgelegten Bericht der unabhängigen Expertenkommission zur Reform der Polizei umzusetzen und eine positive Fehler- und Führungskultur zu etablieren. Kein leichtes Unterfangen, wie bei der Vorstellung der Zwischenbilanz am Mittwoch im Innenministerium von Peter Beuth (CDU) deutlich wird. Der Minister spricht angesichts von bei mehr als 20.000 Mitarbeitern von einem „gewaltigen Prozess“, den man „nicht allein mit Erlassen und Richtlinien“ vorantreiben könne. Die angestrebten Veränderungen müssten als „Projekt der Polizei selbst“ auf der Basis einer intensiven und selbstkritischen Auseinandersetzung betrieben werden. „Unsägliche“, nicht akzeptable Vorfälle und Vorwürfe hätten das Vertrauen in die Polizei erschüttert und erschwerten den tüchtigen Kollegen ihren Job. Zugleich verdeckten sie die erfolgreiche Arbeit bei der Verbrechensaufklärung.

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„Polizeibeamter ist man immer, das legt man nicht mit der Dienstkleidung ab“, appelliert Beuth an das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter. Und: „Polizei muss integer sein.“ Er sei dankbar, dass die Expertenkommission um Professor Angelika Nußberger Punkte aufgezeigt habe, an denen „wir besser werden müssen und wollen“. Beuth nannte exemplarisch die Einführung von Smartphones, die einen internen Messengerdienst und biometrisch abgesicherten Zugang zu Datenabfragen enthielten, außerdem die gezieltere Auswahl von Polizeianwärtern und den Lehrstuhl für Extremismus-Resilienz an der neuen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit. „Wir sind noch nicht am Ende“, betont der Minister.

Immerhin: 38 der 133 Einzelempfehlungen der Expertenkommission seien bereits umgesetzt worden, führt Paschek aus. Rund 16.000 Kollegen habe man mit den Transparenzveranstaltungen erreicht, mit denen man die Kollegen befähigen und ermuntern wolle, bei internem Fehlverhalten Haltung zu zeigen. Dazu soll auch das in den 1990ern erarbeitete Leitbild der Polizei, das seitdem in der Schublade geschlummert habe, modernisiert werden. Die sieben Leitwerte seien Respekt, Professionalität, Kollegialität, Hilfsbereitschaft, Wertschätzung, Vertrauen und Zuverlässigkeit. „Diese Werte müssen gelebt werden“, fordert der Stabsstellenleiter. Dazu komme es vor allem auf Führungskräfte an, gerade solche mit „junger“ Führungsverantwortung.

Die Polizei müsse vielfältiger und diverser werden – bereits jetzt hätten 20 Prozent der Anwärter eine Migrationsgeschichte – und lernen, die Opferperspektive einzunehmen. Hier gebe es noch Optimierungsbedarf, bisher sei die Polizeiarbeit noch zu verfahrensorientiert, sagt Paschek. Dies wurde der Polizei etwa nach dem Terroranschlag von Hanau zum Vorwurf gemacht. Die Bemühungen seien mit viel Arbeit und Aufwand verbunden, aber „ein Investment in die Zukunft“ und daher auf Nachhaltigkeit angelegt, betont Paschek.

Generalverdacht macht Polizisten zu schaffen

Viel Arbeit sieht auch der Integritätsbeauftragte der hessischen Polizei, Harald Schneider. Der gerade in politischen Diskussionen häufig formulierte Generalverdacht mache den Mitarbeitern zu schaffen, berichtet der ehemalige Präsident der Bereitschaftspolizei nach Fortbildungsmaßnahmen, Gruppen- und Einzelgesprächen mit mehr als 1250 Beamten, darunter auch mehrere Mitglieder des Frankfurter SEK. Sein Fokus liege dabei auf solchen Kollegen, die Beschuldigte in Straf- oder Disziplinarverfahren sind oder waren. Wo Vorwürfe pauschal ausfielen, sei die Einsicht geringer. Vielerorts vermisse man Vertrauen, Fürsorge und Rückendeckung von Vorgesetzten. Es gehe nun darum, die „Stillen mitzunehmen und die Skeptischen zu ermutigen“. Der Prozess brauche Zeit, „beschriebenes Papier reicht nicht aus“, betont Schneider.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte: „Wenn Innenminister Peter Beuth heute von einer positiven Fehler- und Führungskultur innerhalb der Polizei spricht, muss dies auch laufbahnunabhängig von allen Polizeibeschäftigten gelebt werden. Auch Führungskräfte sind nicht ,frei von Fehlern‘“, betont der Landesvorsitzende Jens Mohnherr in einer Pressemitteilung. „Die derzeitige Arbeitsbelastung in den Basisdienststellen der Polizei, die durch mehr als drei Millionen Überstunden belegbar ist, erfordert dringend und zeitnah mehr personelle Ressourcen.“

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Auch die Landtagsopposition ist skeptisch: Die Umsetzung der Empfehlungen gehe „sichtlich schleppend voran“, kritisierte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Heike Hofmann. Von einem neuen Leitbild sei man „noch meilenweit entfernt und Innenminister Beuth scheint auch nicht wirklich bemüht, dieses zu implementieren, geschweige denn auf den Weg zu bringen“. Ihr FDP-Kollege Stefan Müller betont, entscheidend für den Erfolg einer versprochenen neuen Führungs- und Fehlerkultur sei, „ob die mit viel ministerialer Begleitmusik orchestrierten Maßnahmen auch greifen und den Realitätscheck bestehen, oder ob die gleichen Fehler wieder gemacht werden, wenn erneut ein Fall von Rechtsextremismus in der Polizei auftauchen sollte“.