Minister Al-Wazir: Menschen unterstützen, nicht überrumpeln

Hessens Wirtschaftsminister und Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir über Verkehrs- und Energiewende, die Herausforderungen durch Migration und seine Chancen bei der Landtagswahl.
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Herr Al-Wazir, Sie sind seit neun Jahren im Amt. In Sachen Verkehrswende, Energiewende, Transformation der Wirtschaft kündigen Sie viel an – warum ist bislang gefühlt so wenig passiert?
Gerade der Bereich Infrastruktur ist wie ein Tanker, den drehen Sie auch nicht sofort in eine andere Richtung. Das dauert etwas, aber Hessen ist Vorreiter der Verkehrswende. Wir geben im Landesstraßenbau inzwischen doppelt so viel Geld aus, aber davon mehr als 90 Prozent der Mittel für Sanierung statt Neubau. Wenn der Bund das rechtzeitig getan hätte, dann gäbe es heute keine einstürzenden Brücken wie die Salzbachtalbrücke. In den Bestand wurde jahrzehntelang zu wenig investiert. Den Etat für Radwege an Landesstraßen habe ich von 1,7 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 17 Millionen für 2024 verzehnfacht. Dazu habe ich den Personalabbau bei Hessen Mobil gestoppt, seit 2016 wird Personal aufgebaut, auch eine eigene Abteilung „Mobilität und Radverkehr“ und die „Task Force Radwege“: 18 Planerinnen und Planer, die sich nur um Radwege kümmern. Und die Mittel für RMV, NVV und VRN, also für Bus und Bahn, werden sich von 660 Millionen im Jahr 2014 auf 1440 Millionen im Jahr 2024 mehr als verdoppelt haben.
Haben Sie Verständnis dafür, dass das „Bündnis Verkehrswende“, dessen Gesetzentwurf Sie als verfassungswidrig abgelehnt haben, von Ihrem neuen Nahmobilitätsgesetz enttäuscht ist?
Ja und nein. Die Forderung, dass es schneller gehen muss, kann ich nachvollziehen. Aber nicht die Kritik daran, dass wir ihren Gesetzentwurf nicht beschließen konnten. Mal ein Beispiel: Ein Blick ins Grundgesetz zeigt, wir können wegen der bundeseigenen Schieneninfrastruktur kein Landesgesetz verabschieden, mit dem die Eisenbahnstrecken in Hessen elektrifiziert werden müssen. Ich fände das auch gut – aber die gehören uns einfach nicht! Sie können auch im Wiesbadener Stadtparlament nicht beschließen, dass das Wiesbadener Kreuz ausgebaut wird. Mit unserem Nahmobilitätsgesetz bekommt die Förderung des Rad- und Fußverkehrs erstmals eine umfassende gesetzliche Grundlage, so wie Straßen und ÖPNV seit Jahrzehnten. Daran kommt in Zukunft niemand mehr vorbei, und das ist ein großer Fortschritt.
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Thema Energiewende: Robert Habeck in Berlin, den Grünen generell wird vorgeworfen, mit ihrer Klimapolitik die Menschen zu überfordern, Stichwort Heizungshammer. Wie viel können und müssen Sie den Menschen für eine rasch wirkende Klimapolitik zumuten?
Schauen wir uns die Fakten an. Es gibt ein Bundes- und ein Landesgesetz, die besagen: 2045 wollen wir klimaneutral sein. Eine durchschnittliche Heizung ist 28 Jahre im Betrieb. Wenn ich 2024 eine neue einbaue, wird sie 2045 noch in Betrieb sein. Deshalb müssen wir bei neuen Heizungen umsteuern, sonst ist das Ziel nicht erreichbar. Die „Bild“-Kampagne mit dem Tenor „Der Habeck kommt und reißt euch eure funktionierende Heizung raus“ basierte auf Fake News. Heizungen, die installiert sind, können doch weiterlaufen, außer sie sind über 30 Jahre alt, das steht aber auch jetzt schon im Gesetz. Existierende Heizungen können auch repariert werden. Trotzdem machen sich viele Menschen Sorgen, was das finanziell für sie bedeuten könnte. Deshalb müssen wir die Menschen unterstützen, nicht überrumpeln. Im Koalitionsbeschluss im Bund steht, dass zielgenau und sozial unterstützt werden soll, dass es Härtefallregelungen gibt, wo der Umbau nicht möglich ist und den Eigentümerinnen und Eigentümern beim Übergang geholfen wird. Auch die FDP hat es jetzt unterschrieben: Wir wollen ab 2024 keine neuen 100-prozentigen Öl- und Gasheizungen mehr einbauen. Jetzt geht’s um kluge Lösungen.
Nach jahrelanger Flaute zieht der Windkraft-Ausbau in Hessen langsam an, aber noch ist Luft nach oben. Reicht dieses gemütliche Tempo, um die Energiewende hinzubekommen?
In Hessen kommen mehr als die Hälfte der Stromerzeugung bereits aus Erneuerbaren Energien, aber das reicht noch nicht, das stimmt. Für das Jahr 2030 liegt das Ziel jetzt im Bundesgesetz bei 80 Prozent. Daher müssen alle dafür sorgen, dass die Erneuerbaren Energien schnell weiter ausgebaut werden. Bei den Genehmigungsdauern waren wir in Hessen letztes Jahr im Schnitt bei 28 Monaten - auch das ist noch zu lange. Die EU-Notfallverordnung wird jetzt eine riesengroße Erleichterung bringen: Danach brauchen alle Vorranggebiete, die schon eine strategische Umweltprüfung durchlaufen haben, im Einzelgenehmigungsverfahren keine Umweltverträglichkeitsprüfung mehr. Bei der Ausweisung von Vorrangflächen sind wir mit 1,9 Prozent das zweitbeste Bundesland. Dadurch werden in den nächsten Monaten und Jahren die Genehmigungs- und Ausbauzahlen sehr deutlich steigen.
Nehmen Sie mittlerweile eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung wahr?
Ja, die Stimmung hat sich geändert – das kann man an harten Fakten festmachen: Schauen Sie sich die Bürgerentscheide in Freigericht vergangenes Jahr und in Hünstetten vor wenigen Wochen an. Vor zwei Jahren hätten wir die vielleicht verloren. Die Mehrheit der Menschen hat verstanden: Wenn wir uns nicht von Diktatoren abhängig und erpressbar machen und günstige Energie wollen, von der auch die Kommunen profitieren, dann müssen wir auch Windräder akzeptieren.
Zur Landtagswahl: Als Politiker sind Sie laut neuesten Umfragen selbst beliebt, dafür trauen weniger Menschen den Grünen die Führung einer Landesregierung zu, auch bei den Kompetenzwerten verliert Ihre Partei. Woran liegt das?
Umfragen sollte man nicht überinterpretieren, aber ich bewerte die Zahlen ganz anders, weil sie zeigen, dass die Grünen in Hessen stabil auf dem zweiten Platz liegen. Manche SPD-Politikerinnen und -Politiker muss man daran erinnern, dass wir seit der letzten Landtagswahl schon zweitstärkste Kraft sind, wenn sie von einem Zweikampf zwischen Boris Rhein und Nancy Faeser träumen. Wir werden im Herbst einen Dreikampf um die Staatskanzlei erleben, und ich freue mich auf einen hoffentlich fairen Wahlkampf um die besten Ideen für unser Land.
Befürchten Sie im Wahlkampf eine Zuspitzung in der Flüchtlings- und Migrationsfrage?
Wenn wir Probleme haben, müssen wir darüber reden und sie versuchen zu lösen. Dass Kommunen, Schulen, Kitas und Verwaltungen gerade eine riesige Aufgabe haben und Unterstützung brauchen, ist klar: Wir haben wegen des Ukraine-Kriegs vergangenes Jahr mehr Menschen aufgenommen als 2016. Das ging vergleichsweise geräuschlos, während die politische Debatte damals ziemlich vergiftet war. Es gibt auch diesmal keine einfachen Lösungen: 80 bis 90 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, stammen aus der Ukraine, aus Syrien, Afghanistan. Wer will die zurück in den Krieg schicken? Niemand, der bei Verstand ist! Die Forderung, man brauche nur eine Rückführungsoffensive, das löst das Problem nicht. Trotzdem: „Humanität und Ordnung“, wie es im Koalitionsvertrag steht, bedeutet auch, dass diejenigen, die nach einem möglichst zügigen Asylverfahren kein Bleiberecht haben und bei denen eine Rückführung möglich ist, Deutschland auch wieder verlassen müssen. Zugleich haben viele verstanden, dass wir Zuwanderung brauchen, damit uns in Zukunft noch jemand pflegen, den Computer programmieren oder die Fotovoltaikanlage aufs Dach schrauben kann.
Würden Sie eigentlich im Fall einer großen Koalition als Oppositionsführer in den Landtag einziehen?
Ich habe keine Rückfahrkarte nach Berlin. Ich habe mein ganzes politisches Leben lang Landespolitik in Hessen gemacht, weil ich das Land liebe, hier etwas erreicht habe und weiter erreichen möchte. Außerdem will ich natürlich gewinnen: Ich kämpfe dafür, die nächste Landesregierung anzuführen. Gleichzeitig will ich Hessen auch weiter gestalten. Den Rest haben die Wählerinnen und Wähler in der Hand.
So verkündeten die Grünen die Spitzenkandidatur Al-Wazirs auf Twitter